Verlassen der Zivilisation

Sonntag, 01.11.2015

Nachtrag zum 31. Oktober 2015:

Üblicherweise werden die Einträge abends in der Unterkunft verfasst. Das Motel in Tennant Creek verlangte eine Gebühr für die Internetnutzung, 5 AUD für eine Stunde, wogegen sich der Reiseleiter aus Prinzip wehrte, denn nach seiner Meinung sollte die Internetnutzung inkludiert sein, doch wurde er von Uru, Koko und der gesamten Reisegruppe überstimmt mit dem Argument, dass Constanze und die Jungens doch auf eine Nachricht warteten. Doch funktionierte das Einwählen im Zimmer nicht, weil die angegebenen Daten nicht angenommen wurden. Bei der Rezeption gab es dann einen Zettel mit Daten für einen anderen Gastzugang, doch auch damit gelangte man nicht in das Internet. So wurde der etwas stocksteife junge Rezeptionist nochmals um Unterstützung gebeten, er bemühte sich (im Sinne des Begriffes "bemühen" wie in Personalzeugnissen), doch konnte auch er keinen Erfolg erzielen. Er löste das Problem, indem er die fünf AUD wieder auszahlte. So kommt der Bericht mit einem Tag Verspätung.

Die Fahrt führte nach Süden aus Katherine hinaus. Wenn man jemanden richtig gut näher kennen lernen möchte, so sollte man mit ihm mehrere Stunden auf engem Raum zusammen verbringen, zum Beispiel in einem gefangenen Fahrstuhl, oder mit ihm 700 km in einem Mitsubishi ASX fahren. Schnell stellten sich die Charaktere von Uru und Koko heraus und es ist völlig unverständlich, warum die beiden befreundet sind. Uru ist eindeutig der Neugierige, er will alles wissen und sehen, und er zeigt das große Bedürfnis, uns mit seinem Land vertraut zu machen; er ist auch ein bißchen frech, und seine Zunge ist manchmal schneller als sein Gehirn. Koko ist hingegen etwas weise, abgebrüht, hat einen großen Wissensfundus, lebt aber auch gerne bequem und möchte am liebsten in Ruhe gelassen werden. Die Spitze ist aber, dass die Beiden grundsätzlich unterschiedlicher Meinung sind. Wenn Uru etwas sagt, äußert Koko sofort das Gegenteil, und umgekehrt.

Am Beginn der Fahrt waren beide noch ziemlich synchron. Eine Viertelstunde nach der Abfahrt ging es los. Koko: "Wie lange dauert es noch?" Uru:"Wann sind wir da?" Koko: "Ich habe Durst!" Uru: "Ich muss mal!" Koko: "Mir ist es zu heiß! " Uru: "Mir ist es zu kalt!" Und in Einem fort.

Wie schön doch sonst die Fahrt begann. Vor dem heranbrausenden Gefährt hüpfte ein mittelgroßes Känguruh in das rettende Gebüsch. Andere Känguruhs standen rechts und links am Straßenrand und wendeten ihre Köpfe mit dem vorbei fahrenden Auto; dabei schien es, als ob sie Beifall klatschten. Ab und zu lag auch mal ein überfahrenes Tier am Straßenrand.

Der erste Halt erfolgte im Elsey National Park. Die Bitter Springs sind Thermalquellen, wunderschön anzusehen und mitten im Busch gelegen. Einige Kilometer davon entfernt ent-springt die Rainbow Spring (man beachte bitte die Alliteration) und nur eine kurze Distanz davon entfernt liegt der Thermal Pool. Heissa, wie jauchzte da die bezaubernde Mitreisende, als man es ihr gestattete, sich ihrer, die unteren Gliedmaßen eng umhüllenden schlauchartigen Kunststoffgespinste zu entledigen und für eine halbe Stunde in die glasklare, fast körperwarme aquatische Flüssigkeit zu gleiten, begleitet von der exotischen Kakophonie des Tropenwaldes. Doch so ist das ja immer im Leben: für alles Wohltuende muss man irgendwie bezahlen. Die Hoffnung trog, dass eine kalte Dusche nach dem zwar angenehm warmen, aber wenig erfrischenden Bad die Lebensgeister beleben würde, denn die Duschen wurden ebenfalls von dem 33 Grad warmen Thermalwasser gespeist.

Die Hitze drückte. Da begann Koko zu dozieren, dass es in Australien ja genau umgekehrt wie in Europa sei. Wenn man von Deutschland nach Süden, zum Beispiel nach Italien fahre, dann würde es immer wärmer. Wenn man in Australien nach Süden fahre, also Richtung Antarktis, dann würde es immer kälter. Sofort hakte Uru ein. Am Morgen sei es nur 26 Grad warm gewesen, mittags um 32 Grad und bei der Ankunft am Abend nach 700 km sogar 39 Grad, und damit wäre Kokos Theorie vollkommen widerlegt. Da wusste der arme Koko nicht zu antworten.

Es sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass die Reisegruppe bereits in der Vergangenheit offensichtlich alleine durch ihre Anwesenheit widernatürliche Phänomene hervorzurufen vermochte. Bei ihrer Reise durch die knochentrockene jordanische Wüste tröpfelte es, was 30 Jahre lang nicht erfolgt war. Auch in der Wüste von Neu Mexiko fielen Tropfen. Und jetzt wieder in Katherine, wo in der Nacht ein kräftiger Schauer fiel, der die morgendliche Luft auf nur noch 26 Grad abkühlte. Während Uru meinte, dass es nur an der Magie der Reisegruppe gelegen haben könne, widersprach Koko natürlich, dass es sich um Vorboten der nahenden Regenzeit handele.

Der nächste Halt erfolgte beim Joining Point of the Overland Telegraph, einer großen Ingenieurleistung, den Kontinent von Süd nach Nord zu verbinden. Die beabsichtigte Telegraphennachricht nach Europa misslang aber doch, weil gerade das Unterseekabel nach Java beschädigt war.

Eine Zeitlang war eine enorme Rauchwolke auszumachen, die weit hoch in die Atmosphäre stieg und nahezu die Form eines Atompilzes angenommen hatte.

Nach dem Threeway-Roadhouse kam das John Flynn-Memorial. Der Reverend hat sich sehr um die Verbindungen und Wohlfahrt der im Outback weit entfernt lebenden Menschen ohne jegliche soziale Fürsorge und Versorgung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr verdient gemacht.

Kurz vor dem Zielort regte Uru noch die Besichtigung der Tennant Creek Telegraph Station an. Koko war dagegen, vor allem wegen der Hitze und der plagenden Zweiflügler, wollte aber auch nicht alleine im Auto bleiben ("Dann bekomme ich Angst und heule die ganze Zeit und das wollt ihr doch sicher nicht!"). Die Telegraphenstationen wurden von einigen wenigen Bediensteten unterhalten, die auch die endlos langen Freilandkabel zu kontrollieren hatten, und Koko meinte dazu ganz zutreffend: "Einen öderen Job kann ich mir nicht vorstellen!"